Einblick in den Alltag einer psychiatrischen Klinik
Wer noch nie eine psychiatrische Klinik von innen gesehen hat, hat wenig Ahnung, was sich darin abspielt. Pro Mente Sana bat die freie Autorin Susanne Schild es zu wagen. Sie begleitete Mitarbeitende des Sanatoriums Kilchberg einen Vormittag lang. Artikel im KONTEXT Das Magazin zum mental help club von pro mente sana
09.11.2022
Wenn ich krank wäre, dann würde es mir deutlich leichter fallen zu sagen «Ich gehe ins Spital» als «Ich gehe in eine psychiatrische Klinik». Denn psychische Erkrankungen sind noch immer mit Scham und falschen Vorstellungen behaftet. Die Pro Mente Sana setzt sich dafür ein, dass Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen nicht mehr stigmatisiert werden und sich auch selbst nicht stigmatisieren. Um die Stiftung bei ihrer Aufklärungsarbeit zu unterstützen, war Susanne Schild für einen halben Tag zu Besuch im Sanatorium Kilchberg.
Wie das Ambiente das Wohlbefinden beeinflusst
Als Erstes führt mich der Stationsleiter Simone Aquilante durchs Areal und durch verschiedene Abteilungen. Manche Bereiche sind sehr wohnlich gestaltet – lichtdurchflutete Räume, gemütliche Sitzgruppen, Bilder an der Wand, schöner Holzboden. Die terrassierte Parkanlage mit ihren Blumenrabatten und der Liegewiese sowie der Ausblick auf das Blau des Zürichsees runden das Bild ab. Fast wie in einem Hotel. Aber das täuscht. Denn rund ein Drittel aller Patient*innen kommt gegen ihren Willen in die Psychiatrie. Bei Zwangseinweisungen kann es zu Widerstand und gewalttätigem Verhalten kommen. Bei meinem Rundgang erlebe ich dann auch weitere Stationen, zum Beispiel die fakultativ geschlossene Station D2. Ist sie geschlossen, können die Türen nur mit Badge geöffnet werden und es gibt Sicherheitsschleusen, die aber normalerweise nicht benützt werden. Der Schliessstatus der Station wird mehrmals am Tag durch das interprofessionelle Team eingeschätzt. Ziel ist es, die Stationstüre schnell wieder zu öffnen, um der Enge auf der Station entgegenzuwirken. Die Einrichtung ist hier im Vergleich eher spartanisch, weil immer wieder etwas zu Schaden kommt.
Nur für den Notfall: das Intensivzimmer
Wir gehen die Treppen hoch und kommen zu den beiden Intensivzimmern. Diese werden dann benutzt, wenn in Situationen von Selbst- oder Fremdgefährdung ein grösserer Schaden abgewendet werden muss und keine alternativen, weniger eingreifenden Strategien angewendet werden können. Die Intensivzimmer sind für Ausnahmesituationen gedacht und nicht als Teil eines therapeutischen Prozesses zu verstehen. Sie werden von den Patient*innen aber sehr oft auf freiwilliger Basis benützt, etwa um sich zurückzuziehen und um Ruhe zu finden.
Das erste Intensivzimmer, etwa neun Quadratmeter gross, verfügt lediglich über eine Toilette, eine Sicherheitsmatratze, einen Hocker sowie eine grosse Wandtafel. Offensichtlich kann Malen auf grossen Flächen beruhigend wirken. Das zweite Zimmer ist etwas einladender gestaltet – es ist ganz in Rosa gehalten und mit einem einfachen Sofa ausgestattet. Studien haben gezeigt, dass der rosa Farbton beruhigend und deeskalierend wirken kann.